Die Katzenüberlegungen erscheinen als regelmäßige Glosse („Katzenjammer“) im Magazin all4pets, aktuelle Ausgabe 2/2016 (www.all4pets.at).
Ich bin eine Katze. Mit all ihren wunderbaren Eigenschaften und Eigenheiten. Ich habe Zugriff auf Stadt und Land. Wenn ich es umtriebig mag, setze ich mich auf das Balkonsims, bin schön und gucke umher. Wenn ich die Gemütlichkeit vorziehe, dann hocke ich in meiner Couchmulde. Wenn ich Massage brauche, warte ich vor dem Zimmer meiner seltsamen Mitbewohnerin und jammere ihr die Ohren voll. Wenn ich essen will, esse ich. Wenn ich trinken will, trinke ich. Und wenn ich nicht Wollen will, will ich nichts. So sieht das aus.
Aber einige Male im Jahr überfällt mich der Katzenjammer. Eine feinporige Unsicherheit, die mir hinters Ohrenfell kriecht. Und dann frage ich mich: Werde ich zur Einsiedlerin? Bin ich Teil von irgendwas? Wo ist meine Community? Brauche ich Freunde? Und wenn ja, warum denn bloß?
Es ist gar nicht so einfach, sich selbst so unfassbar zu genügen.
Also beschloss ich, mich einmal umzuhören. Mal sehen, was so läuft.
Ich wartete an der Haustüre und starrte die Türschnalle so lange an, bis meine Mitbewohnerin erfreut ausrief: „Felice, du willst hinaus? FREIWILLIG? Ich glaub‘ ich spinn!“
Ich ignorierte ihr kindisches Getue. Als hätte ich hier noch nie die Wohnung verlassen. Draußen allerdings war ich überrascht, denn es lag kein Schnee mehr. Hm, war dann doch schon einige Wochen her… .
Hier traf ich auf Scotty, das schwarzweiße Keilgesicht von Nebenan. Ich kenne ihn vom Herstarren, er mich vom Wegsehen. Ich dachte mir, wenn jemand weiß, was hier so los ist, dann dieser einfältige Gassenkater. Der kommt ja viel herum.
Aber Scotty war muffelig. Er hatte Zoff mit Kiri gehabt. Kiri ist der Kater von Nebenan. Vom anderen Nebenan, der sieht aus wie Scotty, nur hübscher, größer und weniger abgeratzt. Ich fand ihn auch schärfer, aber das sagte ich Scotty natürlich nicht. Zwischen den beiden herrscht ein ständiger Konkurrenzkampf. Scotty freut sich, wenn man ihn für Kiri hält. Kiri wiederum wird ganz krawutisch, wenn man ihn mit Scotty verwechselt. Dann wird er wütend, und Scotty bekommt eine auf den Zutz.
Und weil Scotty ein wenig in Bella verliebt ist, die graue elegante Katzendame von schräg drüben, ist ihm das immer besonders peinlich, weil er vor ihr ja den großen Macker, wie soll ich sagen, markieren will. Bella übernachtet manchmal auf unserer Bank, weil sie vor kurzem Zuwachs bekommen hat. Ihr Name ist Tirza und Bella hasst sie. Tirza ist ein Jahr alt, schwarz mit buschigem Schwanz und sieht aus als wär sie drei. Drei Monate alt. Der Traum aller Katzenliebhaber, eine erwachsene Katze zum Dauerknuddeln. Herzzerreißend. Und peinlich. Tja, und weil Tirza nun im Begriff scheint, die Weltherrschaft zu übernehmen, weiß Bella nicht wohin.
Und weil sie so schön ist, aber kein Auge für das Keilgesicht hat, grummelt Scotty.
Zumindest ist er der einzige, der sich in das Revier des Tigerkaters gegenüber wagt. Dort befindet sich ein Haus mit Garten etwa so groß wie der Grand Canyon, nur ohne Canyon, aber mit verschrobenem Hausbesitzer, der alle Kater Mutz Mutz ruft, inklusive seines eigenen. Und mit diesem Mutz Mutz ist nicht gut Trockenfutterjausnen. Ein absoluter Prolo-Kater mit halbem Auge und Schleifpapierfell. Der lässt niemanden in seinen Garten. Vor dem kuscht sogar Kiri. Ein gutes Feld also, um Scottys angeknackstes Selbstwertgefühl aufzupeppen. Denn ein Hieb von Kiri ist lachhaft, ein Hieb von Mutz Mutz hingegen heldenhaft. Und während ich so vor mich hin sinnierte, traf mich eine Erkenntnis:
Scotty, der Draufgänger, Bella, die Schöne, Tirza, die Neue, Kiri, der Coole, Mutz Mutz der Gefährliche? Jede Soap braucht auch einen Erzähler. Und das war ich. Felice, die Einzige! Ich brauchte keine Community. Ich WAR die Community! Nur durch meine Beobachtung bekam dieser marode Haufen Form und Farbe. Ich war der Dosenöffner für die Lachs-Rindfleischmischung, der Ofen für die Pizza, das „M“ zum „iau“.
Zufrieden trabte ich zurück in meine Couchmulde. Ich konnte mich getrost zurückziehen. Ohne mich lief hier ohnehin nichts.
Natürlich ist es nicht immer leicht, sich selbst so zu genügen. Aber es ist unfassbar toll!
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