Als Betty meinen Bruder Bobby heiratete, gab es keinen Ehevertrag. Aber es gab eine mündliche Vereinbarung, die Betty vor sich selbst notariell beglaubigt hatte, und zwar, dass Bobby ab einem von ihr festgesetzten Alter sämtliche Untersuchungen über sich ergehen lassen würde, die es bei Greys Anatomie zu finden gibt. Denn Betty ist nicht nur, wie bereits blogbekannt, überzeugte Hypochonderin, sie ist auch Hypochonderin für andere, sozusagen ein Hypochontrop oder Hypochondrist, oder so ähnlich.
Nun ja, vor einiger Zeit war es soweit, Bobby erreichte die Deadline: Jetzt war er fällig!
Der erste auf der Liste war der Urologe, einer der beliebtesten Ärzte unter Männern, ungefähr so beliebt wie Zungenherpes oder die Pest. Denn die Körperöffnungen eines Mannes sind tabu, außer der Mund, da darf Alkohol hinein.
Um das Grauen meines Bruders etwas zu lindern, lud Betty im Vorfeld unseren lieben Freund Monti ein, den Familien-Lieblingsmontenegriner, der jüngst selbige Untersuchung hinter sich gebracht hatte. Bei einem guten Glas Wein erzählte Monti sehr lustig. Bei einem guten Glas Wein lauschte Bobby, sehr frustig.
Zunächst hatte Monti den Urologen seines Vertrauens besucht, und wie man es schon als Kind lernt, geht man vor wichtigen Ereignissen Pipi. Beim Arzt angekommen, forderte dieser Monti natürlich zu einer Harnprobe auf. Aber auch auf Biegen und Brechen, es kam nichts mehr. Woher sollte Monti auch wissen, dass neben dem Überweisungsschein auch Lulu von ihm gefordert war.
Nun gut, ein neuer Termin wurde ausgemacht. Da stellte sich allerdings heraus: Monti hatte Restharn, was auch immer das war.
„Da schick ich Sie am besten zu einem Kollegen auf die Klinik“, meinte der Doktor, „da sind Sie in guten Händen!“
Monti war immer gerne in guten Händen. Mein Bruder allerdings begann erstmals ein wenig auf seinem Stuhl hin und her zu rutschen, er hielt das Weinglas fest in seiner Hand, wer weiß, was jetzt noch kam.
Monti also versuchte in der Woche darauf pünktlich zehn Minuten vor seinem 10 Uhr 30 Termin im Krankenhaus zu sein. Allerdings stand vor der Anmeldung eine Menschenschlange, etwa so lange wie die chinesische Mauer. Als er schließlich dran war, wurde er ins UG4 geschickt, tief im Rachen der Erde. Auf dem Weg dorthin begegneten ihm viele Leute, ein Mechaniker, ein Elektriker, ein Haustechniker, eine Putzfrau und vieles mehr.
Monti wunderte sich. Konnte sich Doktor „in guten Händen“ keinen geeigneteren Platz als dieses Kellerloch für seine Ordination leisten?
Schließlich stand Monti vor einer Türe mit handgeschriebenem Schild, wo „Urologi…“ draufstand, ob der letzte Buchstabe ein e oder k war, konnte Monti nicht entziffern, was ihm aber egal war, vor allem, als er die drei Schwestern auf der anderen Seite der Türe aufgereiht hinter einem Pult sitzen sah. Zwei davon waren in ein wohl unwirtliches Gespräch vertieft. Monti titulierte sie als recht „böse Frauen“, die dritte dürfte ein Lehrmädchen gewesen sei, nett, freundlich und strunzdumm.
Während Monti gemütlich erzählte, erhaschte Betty Bobbys Blick, der besagte: Nie und nimmer schleppst du mich dahin! Betty tätschelte Bobbys Hand.
Aber sicher, besagte ihrer.
Noch bevor Monti seinen Namen nennen konnte, wurden ihm ein paar Zetteln zum Ausfüllen in die Hand gedrückt. Kopien der Kopien der Kopien eines Fragebogens, der im Jahre 1949 erstmals kopiert wurde. Das, was Monti lesen konnte, füllte er aus, beim Rest erfand er kleine herzige Geschichten und Anekdoten. Schließlich gab er einer der bösen Frauen die Zettel zurück und fragte sich, was jetzt wohl kam.
„Sie müssen sich da einen Katheter aussuchen“, sagte die eine Böse.
„Eins und zwei übernimmt die Kasse, bei drei ist ein Selbstbehalt von 19,90 zu bezahlen. Also. Bitte!“
Monti stand mit hängenden Armen da.
„Bitte was?“ frage er die andere Böse.
„Führen sie den Katheter ein!“
Vielleicht kann man sich Montis Blick jetzt vorstellen. Bobbys Blick zumindest hieß: Ach du Scheiße!
Monti zögerte einige Sekunden, sah sich um, ob irgendwelche Hilfsmittel, wie Sitzgelegenheiten oder Fluchtausgänge zu sehen waren.
„Wie soll ich, ich meine, ich hab noch nie…“, begann er gefasst piepsig.
Das sei ganz leicht, meinte die Strunzdumme aber Nette.
„Sie ziehen die Hose aus und führen den Schlauch langsam,… und dann hier… und so … und dann…, ein.“
Monti stand nun halb entblößt vor den Mädels und tat sein bestes, aber es ging nicht.
„Es geht nicht“, murmelte er. Die Bösen hörten ihn zunächst nicht, ihr Gespräch drehte sich um den scheinbar schwierigen Oberarzt, wahrscheinlich Doktor „in guten Händen“, und wie ungut sie es fanden, dass die eine Böse kommenden Freitag für die Strunzdumme einspringen musste, weil diese heiratete.
Monti sagte nochmals, etwas lauter:
„Das geht aber nicht!“
Nun die Böse: „Wie bitte?“
Monti: „Das funktioniert nicht.“
Die andere Böse: „Dann probieren‘s halt den anderen.“
Montis Gemächt begann schon etwas zu schmerzen. Aber auch Nummer zwei wollte nicht.
Während der Erzählung schenkte sich Bobby mit klammen Händen sein Glas nach. Betty trat ganz leicht unter dem Tisch nach Montis Bein, aber dieser fuhr arglos fort.
Auch der zweite Katheter ging nicht.
Die Böse sagte nun sehr böse: „Passens auf, wenn der Doktor kommt und das sieht, dann macht er sie fertig!“
„Sie hat echt gesagt, ‚der macht Sie fertig‘?“ fragte Bobby und schluckte.
„Nein, nein, der Monti versteht ja net so gut Deutsch“, versuchte Betty mühsam jovial die Situation noch zu retten.
„Doch, das hab ich sicher richtig verstanden, die hatte Haare auf den Zähnen, ich war schon ganz zittrig!“ bestätigte Monti.
Trotz allen Bemühens, der Katheter hatte keine Chance. Schließlich kam der Doktor.
Doch tatsächlich: Monti fühlte sich in guten Händen! Der Doktor war freundlich und sensibel, er meinte: „Na, probier‘ ma noch den letzten aus“.
Aber auch mit Doktors Hilfe wollte der Schlauch nicht in Monti rein.
„Das tut so weh“, traute sich Monti nun zu sagen.
Schließlich seufzte der Doktor ein wenig, dann lächelte er und meinte: „Na dann müss‘ ma das halt unterlassen!“
Monti freute sich. „Na dann lassen wir das unter“, sagte er und ein Stein fiel ihm vom Herzens.
Bobby lachte und war auch erleichtert, wenn‘s einfach nicht ging, dann konnte man sich das ganze doch sicher ersparen. Betty entspannte sich.
„…und für die letzte Untersuchung hat er mir dann noch den Finger in den Po gesteckt und das war‘s! Gar nicht so schlimm!“
Bobby prustete den Wein vor sich hin. Betty trat Monti unter dem Tisch fest ins Schienbein, dass der Tisch wackelte. Aber es war zu spät.
Nach sechs Jahren Ehe hatte Monti den Ehevertrag von Betty und … Betty zum Bröckeln gebracht.
Ein montenegrinischer Riegel, bestehend aus Angst und Schrecken, hatte sich vorgeschoben. Bobby war für immer und ewig gezeichnet, Montis letzter Kommentar hatte sich als Bild fest in sein Hirn gebrannt, das je nach Anlass beliebig oft und heftig herausgeholt werden könnte. Dagegen hatte auch Bettys Hypochonder-Gen keine Chance mehr.
Betty seufzte.
Monti grinse.
Und Bobby sagte noch: „Na dann lassen wir das unter!“ und leerte sein Glas bis zum letzten Tropfen.
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