Erwachsenwerden ist cool. Meint man zumindest, wenn man siebzehn ist. Oder drei. Das mag sogar stimmen, aber tatsächlich ist ErwachsenSEIN doof. Vor allem jenseits der dreißig, oder vierzig, oder neunzig.
Erwachsensein klingt nach Holzboden bohnern, oder Nachmittagskinovorstellung, nach Pitralon, Perserteppich und Bügelfalte. Erwachsensein ist ein permanenter Widerspruch in sich selbst, denn wer ist schon erwachsen, frage ich Sie, und vor allem mich. Und das schon seit Jahrzehnten.
Schreiben Sie Tagebuch, bzw. schrieben Sie Tagebuch?
Dann haben Sie ja eine Vorstellung davon, wie Sätze mit dreizehn klingen.
Da heißt es nämlich in etwa:
„Gestern traf ich Tom, er hat so lieb ausgeschaut, ich liebe ihn!!! Schule ist kacke. Irgendwann lebe ich am Meer, pflanze mein eigenes Gemüse und mach dann so Gelegenheitsarbeiten. Ich will einen Hund, Sybilla hat einen Jorkscharterrier (schreibt man das so?) Den will ich auch!!“
Drei Tage später: „Tom ist ein Arsch, er hat Sybilla sein Pickerlalbum geschenkt, ich hasse ihn. Das Leben ist kacke!“
Und so geht’s weiter, die nächsten fünfzig bis achtzig Jahre.
Denn wo bitte ist der Unterschied zu heute? Es dreht sich doch noch immer um Liebe, Job, Eifersucht und Haustiere. Einer ist immer der Arsch und in unser aller Leben gibt’s doch eine Sybilla, oder? Vielleicht haben wir ein Hündchen gekriegt, manch arme Ladies in Form ihres eigenen Ehemannes.
In Hinblick darauf bezweifle ich sehr stark, dass man, nachdem man nicht mehr in die Windeln pieselt, auch nur einen Deut erwachsener wird.
Und unterm Strich kommt raus: Das Leben ist kacke, aber cool ist es doch!
Ich habe das Glück, aus einer Familie zu kommen, in der allesamt komplett verrückt sind. Inklusive mir und angeheiratetem Gatten. Und ich bin stolz d‘rauf. Was bleibt mir auch anderes übrig?
Und so klappt das also mit dem Erwachsensein ganz und gar nicht. Wie auch?
An vorderster Familienfront stehen, wie bereits bekannt, mein Bruder Bobby und seine Frau Betty. Oberflächlich betrachtet sind beide erwachsen, oder zumindest erwachsenähnlich. Sichere Arbeitsstelle, Haus und Garten, zwei Kinder, wenn auch Mädchen, was die Sache etwas verschärft, aber sonst unauffällig.
Wirft nun aber ein Fremdkörper (andere Menschen) von außen einen Blick auf den Zellkern (auf uns alle), wird er feststellen, dass da drin ein „Holla-die- Waldfee“-Zustand sondergleichen herrscht.
Jüngst etwa reiste unsere amerikanische Cousine zu Besuchszwecken über den großen Teich extra zu uns an, was uns alle etwas verwirrte, denn wer will denn schon UNS besuchen? Sie nächtigte bei Bobby und Betty. Vor Ihrer Abreise trug ich meinen familiären Teil dazu bei, indem ich sie abends mit Freunden sehr erwachsen zum Essen ausführte, wir quatschen recht lange und führten tolle Erwachsenengespräche. Knapp nach Mitternacht setzte ich sie dann wieder bei Bobby ab. Ich war mit dem Abend zufrieden, eine ruhige, vernünftige Simulation eines Erwachsenenzusammentreffens.
Meine Cousine schlich leise durch die Haustüre, um niemanden so spät noch zu wecken, doch bereits im Vorraum hörte sie dumpfe Klänge aus der Küche, dem Zentrum des Hauses und der Familie. Ob der Lautstärke konnte sie getrost die Türe aufmachen und fünf Minuten im Türstock stehen und Betty und Bobby dabei beobachten, wie sie wild und aufgedreht zu Klängen von „Lovely day“ und Nina Hagens Interpretation von „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh‘n“ entzückt und etwas entrückt durch die Gegend sprangen. Ansatzlos. Anlasslos. Ja, so sind Bobby und Betty. Freudig ertappt nahmen sie Cousinchen in ihren Reigen auf und tanzten gemeinsam nur noch bis zum Morgen, um vor der Arbeit noch etwas Schlaf zu finden.
Klar, das sind nur Symptome. Des Pudels Kern ist: Keiner will erwachsen sein, obwohl alle so tun.
Erwachsensein ist doof, ich pfeif‘ drauf.
Ich erlaube mir, Schokosoufflé noch vor dem Hauptgang zu futtern, mit dem Abendkleid durch die schmutzige Pfütze zu hüpfen, ich renne ohne Schirm zum Bus, bekleckere mich vor dem Meeting mit Mayonnaise, weil die Extrawurstsemmel halt ohne nicht schmeckt, ich bohr heimlich in der Nase und spuck den Kaugummi ins Gras, ich leg meinem Mann einen Gummifrosch ins Bett und krieg mich vor Lachen nicht mehr ein, wenn ich den Katzen Baldrian aufs Deckchen sprühe. Ich fürchte mich noch immer vor Verkäufern, auch wenn die schon „Sie“ zu mir sagen und kaufe ein T-Shirt, nur weil die liebe Frau ihr Pickerl draufkleben will.
Ich kichere bei Tom und Jerry und heule bei Nils Holgersson. Ich kletzle an meinen Pickeln und freue mich daran. Wenn mir wer ein Kompliment macht, werde ich rot. Wenn mir wer sagt, dass ich rot werde, werde ich sehr rot.
Und wenn mein Mann mir heiße Honigmilch ans Bett bring, schnurre ich behaglich und schlafe dann ohne Zähneputzen ein.
Ja, so ist es.
Aber selbstredend muss man hin und wieder eingreifen, damit dieser Wahnsinn nicht Überhand nimmt. Und dafür sorgt immer die nächste Generation.
Kürzlich etwa kicherten Bobby und Betty wieder ausgelassen in ihrer Küche, hörten ihre Lieblingsmusik, spielten mit ihren Smartphones herum und meinten, sich lautstark in ihrem eigenen Haus unterhalten zu dürfen, als eines der Mädchen, genannt Tochter, hereinplatze und rief: „Jetzt seid‘s aber leise und geht‘s in euer Zimmer spielen!“
Tja, manchmal ist das Leben kacke, aber cool ist es doch!
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