Im ersten Teil (Unüberzeugt aus Überzeugung – Teil 1) haben wir besprochen, wie man es vermeiden kann, sich von anderen überzeugen zu lassen. Nach diesem ersten Modus, wollen wir uns heute den beiden anderen zuwenden, die sich, im Sinne der inneren Einkehr, mit uns selbst auseinandersetzen.
Sich selbst überzeugen
In diesem Modus geht es darum, wie man sich selbst ein Bein stellen kann, quasi ohne direkte Interaktion mit einem anderen Menschen. Diese Variante des Überzeugtwerdens erzeugt nicht dieselbe brachiale Schmerzintensität wie Modus 1, ist aber dennoch als grausam zu bewerten.
Man würde voreilig urteilen, käme man zu dem Schluss, dass doch kein Mensch so dumm sein könne, sich selbst unsägliche Schmerzen durch Weiterbildung oder die allgemeine Informationsflut zuzufügen. Als Aspirant des Unüberzeugtseins macht man es ja nicht absichtlich, doch der Dschungel an Wissensfallen, die zu Überzeugungsschmerzen führen können ist zu undurchsichtig. Hier einige Beispiele.
Natürlich stellt man als erstes die Lesegewohnheiten um. Anstatt wissenschaftlicher oder wenigstens populärwissenschaftlicher Veröffentlichungen liest man Krimis oder, wenn man noch defensiver sein will, Liebesromane. Aber selbst in Krimis und Gesülze-Machwerken könnte echte Information enthalten sein, die dem eigenen Weltbild entgegenwirkt. Ein wirksamer Schutz für alle, die nicht auf Bücher verzichten wollen: Kaufen Sie nur noch Esoterikbände oder andere Ratgeber, die Ihnen immer wieder sagen, dass man „das nur mit dem Herzen sehen kann“, „man nicht alles beweisen kann“, „sich das der Wissenschaft nicht erschließt“ und sich die wahren Antworten sowieso nur „auf einer anderen energetischen Schwingungsebene“ finden lassen.
Ohne Zweifel kauft man seine Zeitung nach ihrem Format und legt Wert darauf, dass es kein großformatiges Blatt ist. Die Seiten über Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und wohl auch der Feuilleton landen druckfrisch im Altpapier. Trotzdem ist das keine Garantie. Irgendwo versteckt sich eine hinterhältige Kolumne, die einem ihr gleichwohl vorwitziges wie hinterlistiges Wissen aufdrängt, und schon bröckelt der eigene Justament-Standpunkt. Besser ist es da, wenn Sie gar kein Printmedium konsumieren, oder für Sicherheitsfanatiker: Lesen Sie das auflagenstärkste Boulevardblatt Ihres Landes.
Selbstverständlich sieht man keine Nachrichten oder Magazine im Fernsehen, sondern verlegt sich auf Talkshows, Sitcoms und Blockbuster. Dennoch bleibt ein Restrisiko! Man darf es sich nicht zu leicht machen. Sicher, in Talkshows erwartet man Leute, die die gleichen Meinungen haben wie man selbst und man denkt leichtfertig, man hätte einen wichtigen Punkt aus Modus 1 berücksichtigt. Viel zu leicht könnte man so jedoch auf den Kontrapunkt-Gast vergessen. Sehen Sie auch auf gar keinen Fall Quizshows oder andere als Unterhaltung getarnte Formate, die unter Umständen Faktenwissen enthalten könnten. Wenn Sie kein Risiko eingehen wollen, sollten Sie gar keine Fernsehsendung konsumieren, oder noch besser, sehen Sie Fox News.
Das Internet ist klarerweise das gefährlichste Medium überhaupt. Es beherbergt die potentiellen Überzeugungsquellen aller anderen Medien gemeinsam, und es ist nirgends so einfach, Tatsachen als Unterhaltung oder wirres Zeug zu tarnen wie hier. Wenn Sie schon im Internet zu tun haben müssen, dann nur auf Gewinnspielseiten, auf Seiten, die Ihre Kontodaten abgreifen wollen, oder nutzen Sie es, um Scherzemails zu verbreiten. Gehen Sie niemals, ich wiederhole NIEMALS, auf Seiten wie WikiPedia! Und sollten sie durch unvorsichtiges Klicken einmal doch dorthin weitergeleitet werden, beherzigen Sie folgenden Rat: Gehen Sie sofort weiter auf einen Artikel, der den Hinweis enthält, überarbeitet werden zu müssen, da er mit ungenügend Fakten belegt ist. Sollte das nicht reichen, zerstören Sie umgehend Ihren Monitor!
Sollte sich allen peniblen Bemühungen zum Trotz einmal doch tatsächlich eine faktenbasierte Überzeugung einstellen: Versuchen Sie ruhig zu bleiben. Der Schmerz ist zwar da, aber er fällt geringer aus, weil niemand mitbekommen hat, dass Sie überzeugt wurden. Nutzen Sie das zu Ihrem Vorteil. Gehören Sie nämlich nicht zu den Überzeugungseremiten aus Modus 1 haben Sie nun die Möglichkeit, die neue Überzeugung in duzenden Gesprächen so lange als die Ihre zu verkaufen, bis sie es selbst glauben.
Sich von sich selbst überzeugen lassen
Der dritte Modus schließlich ist von zentraler Bedeutung. Einerseits ist er der am schwersten zu bekämpfende, andererseits kann er unter Umständen sogar eine gewisse Schutzfunktion bieten. Ganz sicher aber, und das wiegt uns ein klein wenig in Sicherheit, egal wodurch er genau ausgelöst wird, wenigstens bedeutet er nicht notwendigerweise eine Aufnahme, neuer, widerlicher Informationen.
Haben Sie erst einmal Meisterschaft in der Überzeugungsbekämpfung erlangt und beherrschen es perfekt, den beiden ersten Modi auszuweichen, sind alle äußerlichen Überzeugungsquellen beseitigt. Gleichzeitig werden Sie dann ziemlich stolz auf sich sein, es so weit gebracht zu haben, was unweigerlich dazu führt, dass Sie von sich überzeugt sind. Sehen Sie, und schon ist es passiert! Aber trösten Sie sich mit dem Gedanken, dass es auch nicht das Gelbe vom Ei, ist auch jegliche Kommunikation mit sich selbst einzustellen. Der Versuch, sich gegen sich selbst abzuschotten kann unter Umständen zu schweren psychischen Schäden führen, im schlimmsten Fall zur dissoziativen Identitätsstörung (also quasi das Man-ist-schon-mal-zu-mehrt-in-der-eigenen-Birne-Problem) und da kann es dann passieren, dass sich Ihre 3 – 20 Ichs gegenseitig überzeugen, sozusagen der Modus 3 Super Gau.
Eine vollständige Vermeidung des Modus 3 scheint also aussichtslos, was angesichts dessen, das zumindest keine weiteren Tatsachen ins Bewusstsein sickern, aushaltbar ist. Dennoch gibt es hier noch Luft nach oben. Begreifen Sie diese inneren Überzeugungsschübe als Chance. Unabhängig davon, ob sie bereits zum Unüberzeugtbleib-Guru aufgestiegen sind oder nicht, ab und zu wird sie ein Modus 1 oder Modus 2 Rückfall einholen. In solchen Fällen haben sie nun die Möglichkeit, sich selbst davon zu überzeugen, dass Sie die Modus 1 Überzeugung schon deshalb wieder über Bord werfen können, weil Ihr Gesprächspartner viel ungebildeter ist als Sie, Sie über das Thema viel besser Bescheid wissen würden, und ohnehin haben Sie Ihre Meinung ja wohl überlegt, und so schnell lassen Sie sich die nicht zerhexeln.
Einen Modus 2 Angriff parieren Sie auf ähnliche Weise: Was wissen diese Journalisten schon, hätte man mal besser Sie gefragt, und überhaupt sind Sie doch schon seit Jahren überzeugt, dass man im Fernsehen und diesen Schmierblättern nur noch von inkompetenten Pseudopublizisten nach Methode angelogen wird und die politische Elite ständig versucht, Ihre intellektuelle Autonomie einzuschränken.
Benutzen Sie einen Modus 3 Anfall also als wirksame Waffe gegen sich selbst. Auf diese Weise unterdrücken Sie es von einem zu geschwätzigen Selbst wirklich überzeugt zu werden und gleichzeitig wehren Sie Modus 1 und 2 Attacken erfolgreich ab.
Damit beschließen wir unseren kurzen Überblick über die drei klassischen Modi des Überzeugtwerdens. Ich hoffe, Ihnen einen kleinen Überblick vermittelt zu haben und Ihnen Strategien an die Hand gegeben zu haben, wie Sie jedweder Überzeugung künftig aus dem Weg gehen können.
Überzeugt? Schade, dann haben Sie leider noch einen weiten Weg vor sich.
Bookmarken & Teilen
Wer die Summe aller Anregungen befolgt, die einem in Teil 1 und Teil 2 zu diesem Thema als zielführend ans Herz gelegt und überaus eloquent dargelegt werden, um aus Überzeugung unüberzeugt zu bleiben, muss meiner Ansicht nach ein äußerst seltenes, falls überhaupt existierendes, und darüber hinaus nur sehr, sehr schwer einzuordnendes Exemplar des homo sapiens sein.
Sicher ist:
Es gibt eine Kategorie Menschen, die alles bejaht, was andere sagen, was natürlich dazu führt, dass sie ihre Meinung häufig ändern, weil sie ja laufend auf Zeitgenossen mit unterschiedlichen Ansichten zu ein und demselben Thema stoßen, und daher immer das glauben, was sie zuletzt dazu gehört haben.
Dann gibt es jene, die grundsätzlich, ohne nachzudenken, alles verneinen, was andere sagen und aus Prinzip genau der gegenteiligen Meinung sind. Auch für diese gilt naturgemäß, dass sie ständig wechselnde Standpunkte zu ein und demselben Thema einnehmen „müssen“.
Nicht zu vergessen jene, die überhaupt nie eine Meinung haben, nicht um ihre tatsächliche Meinung vor anderen zu tarnen, sondern, weil sie ihren Denkapparat einfach so gut wie nie einschalten.
Alle drei Gruppen sind weder wirklich überzeugt, noch wirklich unüberzeugt, und schon gar nicht aus Überzeugung unüberzeugt.
Natürlich gibt es auch große Denker unter unseren Zeitgenossen. Die grübeln und forschen solange, bis sie sich entweder durch andere große Denker von deren Forschungsergebnissen überzeugen lassen oder sich durch eigenes Nachsinnen und Nachforschen (wobei sie auch noch unbewiesene Theorien anderer, sofern sie sie nachvollziehen können, in ihre eigenen Überlegungen mit einschließen), selbst überzeugen.
Letztlich gibt es auch so kleine Lichter, wie mich selbst, deren IQ leider nicht mit jenem der großen Denker vergleichbar ist. Die möchten allerdings auch nicht Unsinn glauben. Daher geben sie sich Mühe, ihr eigenes Gehirn einzuschalten und anzustrengen, aber auch ihre aus dem Bauch kommenden Empfindungen mit einzubeziehen, um letztlich zu gewissen Ansichten und Überzeugungen zu gelangen, d.h. sie bemühen sich darum, selbst Beweise zu finden, sie lassen sich aber auch gerne durch hieb- und stichfeste Beweise, die Gescheitere ihnen vorlegen können, überzeugen. Für diese Kategorie Mensch ist es eine Freude, sich selbst zu überzeugen und durch andere überzeugt zu werden.
Fazit: Das Motto, dem ich gerne folgen möchte: Sich selbst überzeugen und überzeugt werden, und zwar durch überzeugende Argumente, und noch besser – durch Beweise.