Man kann ja schon so seine Probleme mit dem eigenen Kopf haben. Ich weiß, es wird meist nicht gerne darüber gesprochen, aber das eigene Haupt ist für viele auf der Liste der Problemzonen am ersten Platz. Und da muss man froh sein, dass Cellulite oberhalb des Kinns nur sehr selten auftritt, denn sonst wäre die Rübe noch weiter vorne. Viele Menschen bekommen es vom Schicksal wirklich knüppeldick auf die Birne. Die einen haben Läuse, die anderen Migräne, die nächsten leiden an Hässlichkeit und wieder andere haben Dummheit. Das ist nun wirklich alles nicht sehr schön, aber mir geht es noch wesentlich schlechter. Ich hatte nämlich einen Friseur.
Das sind doch nette Leute, mag man einwenden, Leute deren Profession irgendwo im Schwerpunkt des Dreiecks aus Handwerker, Künstler und Psychotherapeut liegt. Auf die meisten von ihnen wird das wohl auch zutreffen, nur leider war konkret MEIN Friseur Wahnsinniger. Wäre dieser Mann Teil des Strafvollzugs in Guantánamo, würden Menschenrechtsaktivisten die Genfer Konvention nicht nur so leise brabbelnd wie einen Rosenkranz runterbeten, sondern mit Megaphonen bewaffnet um das Weiße Haus ziehen und sie dem amerikanischen Präsidenten ordentlich in den Gehörgang husten.
Mein Martyrium fing damit an, dass meine Frau beschlossen hatte, es wäre an der Zeit, eine neue Frisur auszuprobieren. Für mich. Sie hatte es satt gehabt, jeden Tag in dasselbe öde Antlitz blicken zu müssen, und da ihr eine Änderung des zum Gesicht gehörenden Mannes zu drastisch erschienen war, hatte sie einen Termin beim neuen Starfriseur der Stadt für mich vereinbart.
„Pass auf, dass Du nicht gleich wieder unangenehm auffällst“, sagte meine Frau, bevor ich mich auf den Weg machte. „Sei höflich und lass ihn einfach machen. Er weiß besser was zu dir passt. Und zieh dir wenigstens ein Sakko über. Ich will, dass du einen guten Eindruck machst, das ist schließlich nicht irgendein Friseur.“ Während der erste Hinweis meiner Frau bereits zur Routine für mich geworden war, machten mich ihre weiteren Ergänzungen doch etwas nervös. Und wahrscheinlich hatte sie recht. Man ging heutzutage schließlich nicht mehr zu einem Friseur. Das waren Hairstylisten, die Monets unsere Zeit.
Ich erreichte den Salon mit einem mulmigen Gefühl der Unwürdigkeit. Das prunkvolle durchgestylte Geschäft schüchterte mich noch mehr ein. „The definitive hairdressers. Lifestyle for your hair“, stand auf dem milchigen Plexiglasschild vor dem Eingang. Wenigstens der Begriff „hairdresser“ brachte mich etwas zum Schmunzeln und löste meine Aufregung etwas. Unweigerlich musste ich mir vorstellen, wie meine Haare in diesem edlen Laden „gedressed“ werden würden. Bestimmt kam da der Stylist mit einer Miniaturnadel und Zwirn und fertigte für jedes einzelne meiner Haare einen kleinen Maßanzug an, so dass es auf meinem Kopf bald aussehen würde wie bei einem Treffen der Hochfinanz. Zumindest schien mir der gute alte Begriff Haarschneider doch wieder ganz passend.
Als ich den Laden mit weichen Knien betrat, wehte mir augenblicklich ein eiskalter Wind entgegen, der nur zur Hälfte auf die sehr hart arbeitende Klimaanlage zurückzuführen war. Man musterte mich von oben bis unten und erkannte sofort, dass ich nicht in dieses, nun ja, „Hairiversum“ gehörte. Ich hätte schwören können, dass für ein paar Sekunden das Klippklapp der Scheren aufgehört hatte und alle Augen auf den Sonderling gerichtet waren. Noch verblüffter sah mich die aufmerksame Mitarbeiterin der Rezeption an, die rasch herbeigeeilt war, und mir mitgeteilt hatte, dass der Schnapsladen zwei Geschäfte weiter war, noch bevor ich ihr sagen konnte, dass ich einen Termin hatte.
Ungläubig und argwöhnend führte sie mich zu einem Frisierstuhl, der aussah, als hätte man ihn aus einem Vorstandsbüro geklaut. Die Rezeptionistin fragte mich, ob ich einen Kaffee wolle oder einen Prosecco. Kleinlaut orderte ich einen Espresso und war mir sicher, dass Stammgäste auch frischen Beluga oder wenigstens ein gut abgehangenes iberischen Schweinehinterbein bekommen würden. Wenig später erhielt ich einen tatsächlich ausgezeichneten Espresso und den Hinweis, dass der Artdirector in Kürze für mich Zeit hätte. Ganz offensichtlich war dies alles nur die Kulisse eines Filmsets und ich war unabsichtlich hineingeplatzt. Wozu sonst, fragte ich mich, sollte man hier wohl einen Artdirector benötigen, obwohl ich nicht genau wusste, welche Aufgaben so jemand hatte.
Fünf Minuten später trat ein unfassbar absichtlich gestylt wirkender Mann mit Dreitagebart, der einen Werkzeugürtel für Kämme und Scheren um die Hüfte trug, hinter mich und begrüßte mich mit einem taxierenden Griff mitten durch mein Haar und sagte: „Ah, ich sehe hier wunderbares Material, bei Ihnen. Nur leider völlig verkümmert. Mein Gott, welcher rohe, unkultivierte Mensch hat Ihnen das angetan?“
„Nun, das war dann wohl ich.“
Es entstand eine kurze Pause, während mein Kopf genau betrachtet und in alle Richtungen gedreht wurde. Im Nachhinein bin ich fast sicher, dass sogar eine vollständige Umdrehung dabei gewesen ist.
„Gut, dass sie jetzt in meinen Händen sind. Sie haben unglaublich viel Potential. Herrlich, es fließen gerade total viele Ideen bei mir. Ihr Haar inspiriert mich!“
„Hm, das ist ja sehr nett, es ist nur so: Meine Frau möchte, dass ich mir eine neue Frisur zulegen…“
„Hahaha, ja selbstverständlich möchte sie das. Ihr Frau hat eben einen künstlerischen Blick, hat sofort gesehen, dass es so nicht bleiben kann.“
„Ja, wie dem auch sei, ich hätte einfach gerne einen etwas anderen, normalen Herrenschnitt. Geht das?“
„Natürlich nicht! Sie sind zu Höherem berufen. Wir können so unendlich viel mehr für Sie tun. Lassen Sie mich nur machen, und Ihre Frau wird begeistert sein.“
Warum bloß hatte ich meiner Frau versprochen, nicht unangenehm aufzufallen? Normalerweise wäre ich an dieser Stelle sofort davongelaufen, aber so bestellte ich stattdessen nun doch Prosecco, um meine Angst zu ertränken.
„Zuerst müssen wir Ihren Haaren einmal eine kleine Wellnesskur verpassen. Die Armen sehen total vernachlässigt aus. Waschen, Conditioner, Tiefenpflege, Früchteextrakt. Das übernimmt meine Kollegin. Wir sehen uns dann in etwa einer Stunde wieder zum interessanten Teil.“
Das ganze wuchs sich zum Desaster aus. Ich wollte doch nur einen Haarschnitt und keinen vollen Arbeitstag dort verbringen. Meine Beine wurden zunehmend wackeliger und meine Wellnessbetreuerin musste mich auf dem Weg zu meiner Haarkur stützen.
Am Waschbecken angekommen ließ ich mich in den Sessel fallen und legte meinen schwirrenden Hinterkopf ermattet zurück. Sanft begann mich meine Haartherapeutin mit siedend heißem Wasser zu verbrühen, bevor sie fragte, ob die Temperatur in Ordnung sei. Weil ich es meiner Frau versprochen hatte, machte ich keine Szene und antwortete nur, dass ich nicht sicher wäre, ob der Starfigaro anschließend noch seine Wundertaten vollbringen könne, wenn ich Brandblasen am Kopf hätte.
Nach gefühlten viereinhalb Stunden Haarpflege mit allen Substanzen, die man normalerweise auf der Zutatenliste für Smoothies findet, brachte man mich zurück an den Arbeitsplatz des Artdirectors. Nach den Strapazen mit Mandeln, Joghurt, Früchten, Zitronengras, Ingwer, Honig und noch 50 anderen Nahrungsmittelextrakten fühlte ich mich völlig ausgelaugt.
„Ah, ich sehe Ihre Haare haben sich ganz wunderbar erholt. Dann kann ich ja jetzt kreativ werden. Entspannen Sie sich. Das Ergebnis wird Sie beeindrucken. Nur ein wenig cutten, ein wenig rasieren ein bisschen kolorieren, vielleicht ein paar Strähnchen oder sogar Extensions, fönen, stylen….“
Irgendwann während der Aufzählung verlor ich das Bewusstsein. Keine fünf Stunden später erwachte ich wieder und blickte in das Gesicht eines Monsters. Erst als mir klar wurde, dass es sich genauso schreckte wie ich, realisierte ich, dass dieses Monster ich selbst war. Was hatte dieser Wahnsinnige mit mir gemacht? Ich sah aus wie eine exakte Mischung aus Struwwelpeter und dem aktuellen Bruce Willis. Nun, da waren schon noch irgendwie Haare, aber im Grunde genommen war das ein Kollateralschaden. Ich musste wohl Haarbankrott anmelden, denn mehr als eine 40% Quote war nun nicht mehr drinnen.
Der Artdirector sah das freilich anders. Er war ganz begeistert von seiner Arbeit und bestand darauf, zu hören, was meine Frau dazu sagen würde. Um weiteren Verunstaltungen zu entgehen, stimmte ich zu und bezahlte mit letzter Kraft die fast 400 Euro, die ich angesichts des horrenden Verstümmelungsgrades sogar als günstig empfand.
Tatsächlich war auch meine Frau nur mäßig begeistert. Nachdem ich eine Standpauke erhalten hatte, in der es darum ging, wie ich nur so etwas mit mir machen lassen konnte, musste ich sie davon abhalten, zum Laden zu fahren und dem Coiffeur des Grauens die Augen auszukratzen. Schließlich beruhigte sie sich wieder und ich trug eine Zeitlang Baseballkappen.
Die gute Nachricht ist, dass ich nun nicht mehr hingehen muss. Nie wieder, denn wie ich später aus dem Lokalteil der Zeitung erfuhr hatte meine Frau beschlossen die Sache subtiler zu regeln. Dort stand, dass der Starfigaro das Land verlassen hatte, kurz nachdem er eine zerbrochene Schere und einige tote Locken eines Morgens in seinem Bett vorgefunden hatte.
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