Der folgende Text erscheint im Rahmen einer regelmäßigen Kolumne im Kulturmagazin Living Culture (www.living-culture.at), Ausgabe 24.
Der Österreicher ist gerne grantig. Aber Musik findet er gut. Dazu wippt oder hüpft er gerne. Leider schunkelt er auch dazu. Und selbstverständlich klatscht er zu ihr. Kurz, der Österreicher besitzt eine hohe Affinität zur Musik.
Weil er aber nun mal auch bevorzugt dem Grantigsein frönt, gönnt er sich jedes Jahr aufs Neue die Schmach der Song Contest Bewerbung, durch die beide Vorlieben bedient werden. Die vielen vergangenen Enttäuschungen von letzten Plätzen und einem Gesamtwertungsergebnis von stattlichen 0 (in Worten: null) Punkten, bei denen nicht nur Venedig, sondern wohl auch Thomas Forstner im Regen stand, sind ihm da jedoch zu wenig (Anmerkung: Wie vergesslich der Österreicher diesbezüglich ist, zeigt die Tatsache, dass zwar ein englischsprachiger Wikipedia Artikel zu „Venedig im Regen“ existiert, jedoch kein deutscher). Daher freut er sich seit einigen Jahren, über die zusätzliche Demütigung, eine Halbfinale-Qualifikation zu einem ohnehin sinnlosen Ereignis durchlaufen zu müssen. Um das Ärgerpotential nicht zu gering ausfallen zu lassen, werden in einer nicht öffentlichen österreichischen Vorausscheidung aus allen eingesandten Beiträgen die fünf schlechtesten ausgewählt und anschließend in einer Sendung vom Publikum daraus das allerschlechteste gekürt.
So war es auch heuer am 15. Februar, als man diesen Vorgang wieder konträr fasziniert beobachten konnte. Weil dabei die Nadel leider deutlich Richtung Grant ausschlug, musste man sich rasch die Palette des nationalen musikalischen Stolzes in Erinnerung rufen. Diese reicht von Joseph Haydn, welcher dem Aficionado als Inbegriff der Wiener Klassik gilt, bis zu Rainhard Fendrich, Komponist der Sekundärnationalhymne, die von jeder Genderdebatte unbelastet ist. Vom Dreivierteltaktkönig und Schöpfer der Tertiärhymne Johann Strauß, bis zum volkstümlichen Habitat der Geschmacklosigkeit und der äußerst mangelhaft simulierten guten Laune, vulgo Musikantenstadl. Von Joannes Chrysostomus Wolfgangus Theophilus, den wir liebevoll gerne Amadeus nennen, bis zu den Trackshittaz (na gut, schlechtes Beispiel). Streng genommen war Mozart zwar kein Österreicher, aber da ist die Volksseele nicht sonderlich pedant. Ebenso wenig wie bei der Nennung eines gewissen Arnold Schönbergs, der gerne mal unterschlagen wird, weil er bei so manchem beim Erklingen seiner Werke spontane Innenohrlepra ausgelöst hat, eine Krankheit, bei der die drei Gehörknöchelchen instantabfaulen, sich hernach in winzige Partikel zersetzen und vom Schalldruck angeregt ins Gehirn sausen, um dieses nachhaltig zu perforieren. Komisch eigentlich, denn das würde doch wieder wunderbar zum Grant beitragen.
Man ist hierzulande allerdings nicht lediglich schwerfälliger Konsument der schönsten der Schönen Künste, sondern verleiht auch dem eigenen musikalischen Engagement lebhaft Ausdruck. Bei den Zugaben zum traditionellen Neujahrskonzert können viele kaum an sich halten und warten ungeduldig darauf, mit unwirschem Klatschen, endlich über den Radetzky-Marsch herfallen zu dürfen. Die einen live, im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins, die anderen leisten ihren rhythmischen Beitrag zumindest vor dem Fernseher. Eine weitere Gruppe, wobei es hier eine nicht unbeträchtliche Schnittmenge geben dürfte, versucht sich in den eigenen Sanitärräumen durchaus ambitioniert als Sänger und spendet sich dort selbst, mit feinsäuberlich schamponiertem Haupt, frenetischen Beifall.
In einem gänzlich anderen Musikuniversum als die Liebhaber der Wiener Philharmoniker, aber mit vergleichbarer motorischer Entartung, erleben andere die kollektiv unbewusste Musikalität durch gemeinsame untergehakte Bierbankspasmen, in der momentan von einem gewissen Andy Borg gehosteten Sendung, in welcher das Diktat der Playback-Barden herrscht und ein bisschen Spaß nicht nur sein darf, sondern sogar sein muss.
Für alle die es mehr nach singulärer Öffentlichkeit dürstet, stehen diverse Castingshows und eben die angesprochenen „Song-Contest-Erniedrigungs-Events“ zur Verfügung. Solcher Orts wird der Anspruch auf ekstatische Beifallsbekundung durch Hinweise auf die eigene musische Inselbegabung geltend gemacht, indem man darauf verweist, sich bereits in frühester Jugend, manchmal sogar pränatal, als Songwriter und Produzent verdingt zu haben. Für diejenigen die noch nicht die Gelegenheit hatten, ihr ruhmreiches Schaffen der Kindheit vor gebührend großem Auditorium anzupreisen, möchte ich an dieser Stelle eine Lanze brechen: Jeder beherrscht zwischen elf und dreizehn auf wenigstens einem Instrument geschätzte zweieinhalb Akkorde, und sei es nur das von vielen unterschätzte Furzkissen. Und jedem gelingt es, seinem in Liebeskummer getränktem Seelenschmerz in dazu passenden Worthülsen Raum zu geben. Die meisten sind einfach nur zu bescheiden, die ganze Welt davon in Kenntnis zu setzen, was nur konsequent anmutet, informiert man im Allgemeinen auch niemanden über die persönlichen Erfolge beim Mitklatschen zum Neujahrskonzert.
Womit wir wieder bei der Vorausscheidung wären und dem am 18. Mai bevorstehenden Song Contest. Ergreifen auch Sie diese wunderbare Gelegenheit, sich grün und blau zu ärgern und sich zeitgleich der ruhmreichen musikalischen Vergangenheit des Landes zu besinnen. Und sollten die Klänge aus Malmö Ihr musikalisches Ohr nicht ausreichend kitzeln, nur zu, halten Sie es mit unserem einzigen bisherigen Gewinner Udo Jürgens und klettern auch Sie während des Events in Ihre Dusche, und seien Sie ein Star!
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Sehr geehrte Blogleserin, sehr geehrter Blogleser!
Um Ihnen im Zusammenhang mit dem Song Contest und dem Kolumnentitel auch wirklich nichts zu unterschlagen: Heute vor 46 Jahren, hat Udo Jürgens mit „Merci Chérie“ diese tolle Veranstaltung für sich, und ein bisschen auch für Österreich, entschieden. Prima!
Ihr
Maximus
Lieber Maximus,
muss dir leider widersprechen, ich bin noch immer und war auch in meiner frühesten Jugend auch bei Liebeskummer nicht musikalisch. Würde nicht mal eine Zeile zusammen dichten können.
Aber dafür gehör ich der Fraktion an, die gerne lästert. Ist nicht besonders nett, aber meistens sind die Künstler mehr oder weniger begabt und wollen ihr mäßiges Talent unbedingt allen öffentlich beweisen, da kann man gar nicht anders.
Was in Gesellschaft mit Freunden, die das auch gerne tun, wirklich lustig ist.
Wo ich dann bei dem Song Kompost bin den du erwähnst. Man kann so schön über Leute, deren gesamtes Outfit und über die dargebotene Leistung (normalerweise singen) herziehen.
Also ich werde auch dieses Jahr dieses Spektakel ganz sicher ansehen.
Lg
Schuhbidu 😉
Liebe Schuhbidu!
Tja was soll ich sagen? Ich ärgere mich gerade, dass mir die Formulierung „Song Kompost“ nicht selbst eingeafflen ist und ich sie nicht in der Kolumne verwerten konnte. Sehr kreativ!
Ansonsten hab‘ ich vollestes Verständnis dafür, dass sich die Leute Jahr für Jahr wieder bei der audiovisuellen Aufnahme des Song Contest Gehörknöchelchen und Sehnerv fröhlich einäschern lassen.
Ich selbst bin auch immer wieder mal konträrfasziniert und schaue rein. Und wenn man es wie Du als Comedy Sendung versteht, bekommt die Veranstaltung ja eine gewisse Eigendynamik.
Trotzdem empfehle ich auch Dir, wie allen anderen Lesern, wenn es zuviel wird, mach es wie der Udo, spring in die Dusche und wachs Dir den Song Conest freudig trällernd wieder runter.
Liebe Grüße
Maximus