Der folgende Text erscheint als Kolumne im Kulturmagazin Living Culture (www.living-culture.at), Ausgabe 23.
Frequentiert man an einem der vier Adventsamstage ein Shoppingcenter, so ist man, nun ja, so ist man selbst schuld. Es ist tatsächlich kein plausibler Grund denkbar – mit Ausnahme von sehr üppigem Masochismus vielleicht, und wir sprechen hier von einer Qualität die sogar der ansonsten nicht gänzlich prüden E. L. James die Schamesröte ins Gesicht treiben würde – der ein derart skurriles Artverhalten rechtfertigen würde.
Aber keine Sorge, wir wollen uns hier nicht über Gebühr der merklich abgegriffenen Beschreibung der vielen Tücken des Einkaufsbummels widmen. Ich möchte Ihre geschätzte Aufmerksamkeit lieber auf einen Nebenschauplatz des Shoppingtreibens lenken. Früher oder später verlangt es auch den hartgesottensten Weihnachtsgeldverfeuerer nach einem Ort der Einkehr: Dem Kaffeehaus des persönlichen Vertrauens.
Dem Laien mag sich die Gewichtigkeit dieser Säule der Gesellschaft nicht augenblicklich erschließen, wenngleich auch er einsehen wird, dass man dem Österreicher gemeinhin konstatiert, über Kultur zu verfügen. In Wahrheit darf der Österreicher jedoch etwas weitaus größeres sein Eigen nennen. Er besitzt nämlich Kaffeehauskultur. Seit knapp 300 Jahren fühlen sich, vom Kaffeehauspoeten über den Diskssionszirkelteilnehmer bis hin zum Pissoirphilosophen, so ziemlich alle im Kaffeehaus daheim. Hier wurde stets in ausladendem Ambiente die aktuelle Weltlage erörtert, große Literatur verfasst, die Zeitung studiert und ab und an ein Mokka bestellt. Zugegebenermaßen hatte man im Laufe der Zeit nicht allerorts die klassischen Thonet-Sessel, die Marmortischplatten und den mieselsüchtigen Oberkellner nebst versklavtem Piccolo, wie ihn Wien, zur Hand. Der Beliebtheit der Institution hat das aber keinen Abbruch getan.
Am ersten der erwähnten Einkaufssamstage, wollte ich mich, inspiriert durch die vielen heimischen Literaten, ebenfalls im Koffeinetablissement auf die Suche nach einer kleinen Geschichte für diese Kolumne machen. Mein romantisches Verhältnis zum Kaffeehaus wurde allerdings jäh vom „Heute“ eingeholt, und ich musste feststellen, dass von diesem ehrwürdigen Ort der Begegnung und der ehernen Kultur lediglich die Laune der Kellner geblieben ist. Sowohl Einrichtung als auch mangelnde Wohlfühlatmosphäre des modernen Cafés kollidierten ungebremst mit der Hoffnung auf stattliche Prosa. Dazu kam die überaus enge „Betischung“, die den Gast unterschwellig mahnte, es sich nicht zu lange bequem zu machen.
Aus der Not eine Tugend konstruierend, fand ich den erzählerischen Vorteil der zeitgenössischen Einrichtungstopografie darin, dass sie einen unaufgefordert zum Sekundärrezipienten von Gesprächen umliegender Tische macht, zum geheimen Mitverschwörer, der nicht umhin kann, die auffrisierten Lebensgeschichten zu seinem großen Braunen zu konsumieren. Vielleicht gab es hier doch ein Kleinod der Poesie aufzulesen.
Links von mir wurde die eine Freundin von der anderen darüber aufgeklärt, dass man nicht „zwei Espressos“ sondern richtigerweise „zwei Espressi“ bestellt. Dazu fiel mir leider nur die Anregung ein, doch ein Standardwerk zur deutschen Grammatik zu Rate zu ziehen.
Beim Pärchen hinter mir ging es, in explizite Sprachbilder gegossen, um die desolate politische Gesamtsituation, verblüffenderweise nahtlos gefolgt von der zunehmend amorphen Konstitution eines gemeinsamen Freundes. Mein gedachter Rat, doch lieber keine allzu großen Felsbrocken aus dem Glashaus zu werfen, hatte leider ebenfalls wenig literarisches Potenzial.
Rechter Hand besprachen zwei Freunde, im Bekanntenkreis bald sämtliche mögliche Kombinationen an Affären ausprobiert worden wären. Natürlich wog ich ab, mit der Empfehlung eines guten Venerologen zu assistieren, aber auch diese war von der dichterischen Performance her eher überschaubar.
Am Tisch vor mir schließlich tauschten sich meine Nachbarn darüber aus, dass dieser seltsame Kerl am Nebentisch offensichtlich andere Gespräche belauschen und sich wohl billige Urteile erlauben würde. Endlich! Das hatte verwertbare Substanz. Daraus ließ sich etwas machen. Zum Beispiel meine, sich recht spontan einstellende, gesunde Gesichtsfarbe.
Eigentlich war die Bilanz doch gar nicht schlecht. Ich hatte meinen Mokka getrunken, verschanzte nun mein peinliches Ertappt werden hinter einer großformatigen Zeitung, und tatsächlich wurde im Kaffeehaus nach wie vor über Gott und die Welt gesprochen. Blieb nur noch die große Literatur offen. Nun, damit kann ich nicht dienen, aber zumindest diese Zeilen konnte ich retten.
Prinzipiell hatte sich der Mikrokosmos des Kaffeehauses also kaum verändert und blieb ein Abbild der Restwelt. Oder um es mit Friedrich Torberg zu sagen: „Kaffeehaus ist überall“!
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Ich finde es schade, dass man im Kaffeehaus zwar nach wie vor über „Gott und die Welt“ spricht, dass man aber heutzutage dort leider so gut wie nie Literaten oder gar herausragenden Poeten begegnet (obwohl es deren in der Gegenwart erfreulicherweise gar nicht so wenige gibt).
Es liegt wohl daran, dass das „alte“, gemütliche Kaffeehaus kaum noch existiert. Die Großen der Literatur in unserem Lande haben natürlich schon noch einige Refugien, wo sie sich zum Gedankenaustausch bei einem guten Schalerl Kaffee treffen.
Einige begnügen sich heute mit einem Schnellkaffee in einem Coffee-Shop oder schlürfen ihren Kaffee daheim vor laufendem Fernseher, vielleicht sogar während einer der Nespresso-Werbungen, wobei zu sagen ist, dass diese (von der ersten bis zur neuesten) fast jedermann zum Schmunzeln bringen. Ist ja auch nicht schlecht. Man hat ja sonst so wenig zum Lachen!