Wer kennt sie nicht, die Wortungetüme, die Redewendungen des Grauens, die uns schon von Kindesbeinen an verfolgen, gegen die kein Kraut gewachsen scheint. Nun, es ist an der Zeit dem Wahnsinn Einhalt zu gebieten. Deshalb werden in dieser Kategorie von Zeit zu Zeit sprachliche Abscheulichkeiten analysiert und diskutiert. Dem Leser sollen Werkzeuge an die Hand gegeben werden, die zeigen wie man sich am besten vor ihnen schützt. Aber egal was kommen mag, nehmen Sie es mit Humor.
Mit diesem Satz steht plötzlich die Entrüstung einer ganzen Generation wie eine uneinnehmbare Festung mit Selbstschussanlagen und Raketensilos im Raum. Manchmal sogar von mehreren. Wenn nämlich die Großeltern einmal damit angefangen haben, ergänzen die Eltern, die ansonsten aus grundsätzlichen Erwägungen heraus anderer Meinung sind, dann automatisch „Stimmt, ich hätte das damals nicht gedurft“. Es ist unerheblich, wie alt man selbst gerade ist, es ist klüger, direkt mit dem Thema abzuschließen und sich auf die Zunge zu beißen.
Sagen Sie niemals auch nur ein einziges Wort gegen die moralisch überlegene Ahnenreihe. Nicht einmal dann, wenn Sie selbst bereits Kinder haben. Was glauben Sie, warum Ihre Eltern den Großeltern zugestimmt haben? Auch sie wollen sich nur vor einer elendslangen Diskussion, die sie nicht gewinnen können, drücken. Wälzen Sie die Last des ethischen Versagens in dieser Situation bedenkenlos auf die jüngste Generation ab. Pauschalierte Anklagen wie „Es ist schrecklich, dass sich diese YouTube-Generation nur mehr um sich selbst kümmert“, sind hier das Mittel der Wahl.
In diesem Spiel gibt es nur eine Regel, und die besagt, dass die Älteren unter allen nur erdenklichen Umständen recht haben, selbst wenn ihr Standpunkt unhaltbarer Schwachsinn sein mag, und dass die Jüngsten Schuld sind und daher verlieren. Sind Sie bei den Jüngsten, tragen Sie es mit Fassung. Wenn Sie sich dazu nicht eignen, setzen Sie Kinder in die Welt. Das erspart Ihnen dann gleichzeitig eine weitere Kampffront, an der Sie ansonsten ein Waterloo erleben werden, weil Sie zu egoistisch sind, sich um eigene Kinder zu kümmern: „Wir haben damals noch alles für die Kinder getan und haben auf viel verzichten müssen, aber dazu sind die Jungen heute ja nicht mehr bereit.“
Was passiert, wenn Sie sich nicht an die klare Struktur des Spiels halten? Für jeden Regelverstoß gibt es eine wohldefinierte Strafe. Vertreten Sie zum Beispiel die Ansicht, dass heute irgendetwas besser sein könnte als früher, werden Sie „Das kannst Du gar nicht wissen, da warst Du noch nicht einmal in Planung. Also rede nicht von Zeiten die Du nicht erlebt hast. In den guten alten Zeiten war es einfach besser!“, als unanfechtbare Feststellung zu hören bekommen. Sie meinen, diese Antwort wäre widerlegbar? Wunderbar, weisen Sie jetzt doch einmal auf Kriege oder ähnlich beklagenswerte Ereignisse von früher hin. Das führt dann in etwa zu „Wär Dein (Groß)Vater seinerzeit nicht im Schützengraben gewesen, hättest Du nicht in so einer Welt aufwachsen können, in der einem alles in den Schoss fällt. Aber statt dankbar zu sein, kritisierst Du einfach eine Zeit, in der Du nicht dabei warst“.
Sie finden, dass Ihre Argumente verzerrt aufgenommen wurden? Das heißt, Sie haben noch immer nicht genug? Nur zu, sagen Sie „Ich mein doch nur, dass es heute einfach viele Dinge gibt, die…“. Man wird Ihnen ins Wort fallen und erklären: „Junger Mann (oder auch junge Dame (aber so dumm an der Stelle noch einen Versuch zu starten sind meist doch nur die Männer)), was willst Du mir da sagen? Ich bin älter als Du und habe eine Lebenserfahrung, die Du Dir erst mal erarbeiten musst“.
Wirklich unerschrockene bzw. gnadenlose Masochisten werden auch jetzt noch nicht aufgeben. Das durchschnittliche Mitglied der jüngsten anwesenden Generation hat aber mittlerweile erkannt, dass das verklärte Plädoyer für die Vergangenheit nicht zu stoppen ist. Haben Sie schon Kinder, wird es stets ein wärmender Trost sein, dass Sie das Spiel mit ihnen fortsetzen können. Sind Sie populationspolitisch noch immer defizitär, schämen Sie sich und machen Sie sich dann daran, Nachwuchs für Ihr Land zu produzieren und so den Kreislauf für diese nette kleine Abendunterhaltung zu konservieren.
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Lieber Maximus!
Ich habe dieses blödsinnige „Zu meiner Zeit …“-Statement zwar nicht allzu oft von meinen Altvorderen gehört, war aber trotzdem oft genug Zeuge einer so unqualifizierten Äußerung im Zuge von Diskussionen anderswo.
Leute, die so etwas sagen, plappern nur nach, was seinerzeit wahrscheinlich zu ihnen gesagt wurde. Sie müssten, um wenigstens einigermaßen glaubwürdig zu sein, statt dessen beispielsweise sagen: „Als ich so jung war wie du jetzt …….“. Das Ärgernis würde damit für jene, an die die Worte gerichtet sind, sowie für die ebenfalls bedauernswerten Ohrenzeugen leider dadurch nicht geringer werden.
Mit der Behauptung: „Zu meiner Zeit hätte es das (was auch immer) nicht gegeben“ unterliegen sie jedenfalls zusätzlich einem leicht nachweisbaren Denkfehler. Es ist ja, da sie noch leben, nach wie vor ihre Zeit, was bedeutet, dass sie es (nämlich das Angeprangerte) dank ihrer Sprösslinge in der Gegenwart erleben, andernfalls müssten sie mit der Behauptung ja bis nach ihrem Tod warten, denn erst dann ist nicht mehr „ihre Zeit“. Der Haken dabei ist nur, dass sie damit dann niemand mehr zur Weißglut bringen können, weil sie ab diesem Zeitpunkt nichts mehr zu sagen haben bzw. nichts mehr sagen können.
Ich weiß, ich habe eine spitze Zunge, aber die Wahrheit bleibt es leider dennoch. Und ich denke, dass ich aufgrund meines Alters bereits so böse Worte äußern darf, speziell weil es glücklicherweise bis jetzt noch „meine Zeit“ ist.