Eigentlich begann der letzte Sonntag wie ein ganz normaler Sonntag. Meine Frau und ich saßen, einen der letzten Sommertage genießend, in unserem Lieblingskaffee. Wobei ich hinzufügen muss, dass wir nicht wirklich über so etwas wie ein Lieblingskaffee verfügen, weil das sehr vom Tag, der Stimmung meiner Frau, den Wetterumständen, der Stimmung meiner Frau, vielen weiteren Faktoren und der Stimmung meiner Frau abhängt. Aber für den Anfang in die Geschichte klingt Lieblingskaffee einfach irgendwie flüssiger.
Nun jedenfalls saßen wir dort, tranken Kaffee und warteten auf unser Frühstück. Ich freute mich auf eine großzügige Portion Rührei, frisch gepressten Orangensaft und jede Menge Sonnenstrahlen. Trotzdem verspürte ich im Rücken immer wieder Schauer einer eisigen, unheilvollen Kälte. Für alle unverheirateten: das ist ein ziemlich untrügliches Zeichen dafür, dass eine äußerst lästige, zuweilen auch reichlich unintelligente Bekannte der eigenen Frau hinter einem auftaucht. In unserem Fall Corinna, bei der erschwerend hinzukommt, dass sie auch wahnsinnig redselig ist.
Bei Corinna besteht auch keine Gefahr, dass sie von irgendeiner Form von Feingefühl, Anstand oder ähnlichem gebremst wird, bevor sie eine sonntägliche Familienidylle kurzerhand pulverisiert.
„Ja Hallo, so ein Zufall, dass wir uns hier treffen. Und das grade am Sonntag. Mei is das eine Überraschung. Ist ja sooo lange her? Wie lange denn? Das müssen mindestens zwei Jahre sein, oder? Und ich bin gar nicht richtig zurechtgemacht, hab mir nur schnell was übergeworfen um Kaffee zu holen. Aber sagt mal, wie geht es euch denn?“, begann der erste Redeschwall von Corinna.
Meine Frau antwortete mir gegenüber mit einem Augenrollen und sagte zu Corinna: „Schön Dich mal wieder zu sehen, nach so langer Zeit. Danke uns geht es gut, wir sind nur grade beim Frühstück.“
Ich sagte „Hallo Corinna“ und dachte „Was glaubst Du wohl, warum wir uns schon zwei Jahre lang nicht mehr gesehen haben, verdammt?“.
„Mei lieb ein gemeinsames Frühstück, so romantisch. Da will ich euch gar nicht lange stören. Ach der Erich und ich haben das früher auch öfters gemacht, aber dann kam ja die Scheidung. Dafür bin ich beruflich jetzt voll weitergekommen. Ich bin jetzt Marketingassistentin. Wahnsinnig aufregender Job. So viel zu tun, sag‘ ich euch. Und die vielen Reisen. Na ja ich hab‘ ferne Länder ja schon immer geliebt. Und wie läuft es bei euch so?“
„Danke wir sind sehr zufrieden. Privat und beruflich ist alles in bester Ordnung“, entgegnete meine Frau.
„Nur unser Frühstück droht inzwischen kalt zu werden“, ergänzte ich. Diesmal galt das Augenrollen meiner Frau zweifellos mir.
Mit „Das war wirklich nett Dich mal wieder zu sehen“, versuchte meine Frau das Gespräch nun zu beenden.
„Ja wirklich ganz nett. Aber weißt Du so ist das Schicksal. Wenn man am wenigsten damit rechnet, überrascht es einen. Eurer Aura kann man die Überraschung auch ansehen. Wisst ihr, damit hab‘ ich mich in letzter Zeit total beschäftigt. Also mit der Aura mein‘ ich. Ich reibe meinen inzwischen sogar ein. Das tut ja so gut. Solltet ihr auch mal probieren.“
Das einzige was man mir zu diesem Zeitpunkt ansehen konnte war Wut. Und die stand völlig unverblümt auf meinem Gesicht und konnte wohl von so ziemlich jedem außer von Corinna richtig interpretiert werden.
„Hör zu Corinna, ich will hier einfach einen gemütlichen Vormittag mit meiner Frau verbringen und mir kein völlig hirnloses Gelaber anhören müssen“, fuhr ich sie an. In Gedanken. Gesagt habe ich stattdessen: „Bitte WAS?“
Dieses Mal galt das Augenrollen meiner Frau uns offenkundig beiden. „Weißt Du, diese ganze Esoterik ist nicht wirklich was für uns. Damit können wir nichts anfangen“, gab meine Frau zu bedenken.
„Ja so hab‘ ich früher auch immer gedacht. Kennst mich ja. Immer der Realist. Aber darauf muss man sich einlassen. Dann wirkt es auch. Das habe ich vor einem Jahr oder so auf meinem Astrologiekränzchen gelernt.“
Womit zum Teufel hatte ich das bloß verdient? Die Unterhaltung wurde von Sekunde zu Sekunde debiler, ich musste dringend etwas unternehmen. Mit Geistesgegenwart schüttete ich mir den heißen Kaffee über das Hemd. Einerseits um einen medizinischen Notfall vorzutäuschen, andererseits um mich von den Schmerzen in meinem Kopf abzulenken.
Tatsächlich zeigte mein Manöver Wirkung. Bei meinem schmerzverzerrten Gesicht wurde Corinna blass und verwies darauf, dass verschütteter Kaffee böses Juju bedeuten würde und sie jetzt weg müsse. „Aber hier habe ich noch ganz wunderbare Zauberinox Globuli in C1000 Potenzierung. Die helfen super gegen Verbrennungen. So jetzt muss ich aber wirklich. Meldet euch mal. Tschüß.“ Corinna entschwand eilenden Schrittes, während wir völlig außer Atem zurückblieben.
Ich holte mehrmals tief Luft, dann nahm ich einen großen Bissen von meiner Portion Rührei und war froh, dass Corinna den homöopathischen Milchzucker da gelassen hatte, weil die Kellnerin beim Servieren des Kaffees ohnehin auf Süßstoff vergessen hatte.
„Hör auf damit“, sagte meine Frau.
„Womit denn?“, erwiderte ich etwas verunsichert.
„Zu denken! Glaubst Du ich merke nicht, dass Du grade in Gedanken ‚Die dümmsten Menschen aller Zeiten‘-Quartett spielst und Dich diebisch freust die beste Karte zu haben?“
Man konnte meiner Frau nichts vormachen. Nicht mal in Gedanken.
„Aber Du warst doch dabei. Ich meine was soll ich sonst denken. Sie hat ‚Astrologiekränzchen‘ ernsthaft gesagt. Und böses Juju! Bei der muss in der Birne doch ein völliger Stromausfall passiert sein. Licht aus. Dunkel. Schwarz, finstere Nacht!“
„Ich weiß ja selbst, dass sie nervig sein kann. Aber ich hab‘ sie mir schließlich auch nicht ausgesucht. Die zwei Jahre in denen sie meine Arbeitskollegin gewesen ist, sind schlimm genug gewesen.“
„Eben, deswegen verstehe ich nicht, warum es Dich aufregt, wenn ich in Gedanken ein wenig über sie herziehe.“
„Ganz einfach weil ich selber gemeine Gedanken haben will. Aber Du drängst mir Deine förmlich auf!“
Ich gelobte Besserung und schlug zur Ablenkung meine Zeitung auf. Nach einigen Minuten überflog ich die Horoskopseite, der kein Hinweis auf ein derart desaströses Ereignis wie ein zufälliges Zusammentreffen mit Corinna zu entnehmen war. Mit einer gewissen Genugtuung nahm ich einen Schluck meines homöopathischen Kaffees. Und Corinna hatte recht behalten. Der Restkaffee war seit ich das Zauberinox hineingeschüttet hatte merklich abgekühlt. Unglaublich einfach was diese Frau erst an einem ganzen Tag anrichten konnte, wenn sie schon in fünf Minuten eine solche Verwüstung anrichten…
„Siehst Du, da war es schon wieder! Hör auf damit!“
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