In Zeiten von Joy, Intouch und Co. wagen wir Frauen uns ja kaum mehr auf die Straße, weil hinter jeder Ecke ein Paparazzo lauern könnte, der vielleicht den einzigen Streifen unverhüllter Cellulitis einfängt. Ich habe keine Lust, diese Stelle dann rot umrandet in einer Zeitschrift prangen zu sehen. Nun gut, dieserart Gefahr ist für unsereins hier nicht gar so groß, was nicht heißt, dass es ungefährlich ist, sich auf öffentlichen Straßen aufzuhalten.
Es muss vor ein, zwei Jahren gewesen sein. In ausgeleierter Jogginghose und farbunspezifischem T-Shirt beschloss ich, meiner Allergie den Garaus zu machen. Während meine Augen, rot und klein, in den Höhlen steckten, meine Nase, rot und riesig, herausprangte, hatte sich zu dieser Miesere auch noch eine Fieberblase gesellt. Die Apotheke war nur fünf Minuten entfernt. Wer sollte mich da schon sehen, dachte ich mir. Ein fataler Irrtum.
Jetzt gibt es ja bekanntlich Personen, die Frauen in diesem optischen Zustand unter Garantie nicht treffen wollen. Das sind etwa der Exfreund, die Erzfeindin, die ehemalige, jetzt natürlich erfolgreiche, Schulkollegin und die neue Freundin des Ex. Wenn jetzt die Erzfeindin gleichzeitig die Schulkollegin und neue Freundin des Exfreundes ist, kann das zu massiven Schwierigkeiten führen. Wenn man nicht gerade frisch gestrichen aus dem Schönheitssalon kommt, dann gilt es, dieses Zusammentreffen unter allen Umständen zu vermeiden. Außer, es ist dazu zu spät.
Ich sah sie etwa 10 Meter vor mir gehen, nein schreiten, wie einst Grace Kelly im echten Leben, allerdings mit weniger Hirn. Noch während ich überlegte, was tun, um dieses überaus peinliche Wiedersehen zu vermeiden, drehte sie sich spontan um, wahrscheinlich um die vermeintliche Schlange an Männern zu taxieren, die ihr vielleicht nachglotzten. Ihr Blick ging über mich hinweg, sie hatte mich nicht gesehen. Gott sei Dank! Dann fixierte sie mich plötzlich genau. Ich bin ganz sicher, sie hätte mich, inmitten der gierigen Blicke, überhaupt nicht bemerkt, hätte ich sie nicht so belämmert angestarrt. Natürlich kam sie gleich her. Denn sie WAR offensichtlich gerade aus dem Schönheitssalon gekommen. In ihrer Position galt es natürlich wiederum, alle nur erdenklich möglichen Kontakte zu suchen. Das Eisen schmieden, solange es heiß ist, diese Nanosekunde auszunutzen, um der Welt zu zeigen, hier bin ich, und ich bin schön und erfolgreich und glücklich und stinkend reich. Oder so.
Sie kam also auf mich zu, in der Hand eine riesige Designertüte und sagte: „Ja, hallo…?…? Natürlich wusste sie, wie ich hieß, sie hatte schließlich lange genug um den Ex gebuhlt, den ich ihr gerne freiwillig überlassen hatte.
Ich sagte auch: „Ah, haaaallo …?..? Auch mit dieser markanten Pause.
Sie sah prachtvoll aus, prall, voll das Leben, und ich meinte, unter ihrem weißen Sommerkleid sogar die glatte cellulitisfreie Haut durchschimmern zu sehen.
Ich versuchte dämlich zu grinsen, um zumindest von meiner Fieberblase abzulenken. Ihr Blick ging einen Deut zu lange runter und wieder rauf, blieb kurzzeitig an den Saft, Bier,- oder was weiß ich- Flecken hängen, und sie bekam ein noch größeres Grinsen als meines. Das war das „Ich bin in Sicherheit“- Grinsen. Das „Da hab ich nichts zu befürchten“- Grinsen. Dabei hatte sie es gar nicht nötig. Ihre Gesichtshaut war glatt wie ein Kinderpopo.
Dann stellte sie die Frage, mit der ich nie im Leben gerechnet hätte, mit der nie jemand rechnet: „Wie geht’s dir denn?“
„Mir geht’s bestens!“ Ja, ganz richtig, immer Superlative verwenden, damit der andere nicht mehr überholen kann.
„Und dir?“, fragte ich uninteressiert.
„Danke, hypergut!“
Hä, hypergut? Diesen Ausdruck haben sich wohl jene Frauen einfallen lassen, die sich von der Superlativhürde nicht mehr unterbuttern lassen wollten.
Sie streifte mit ihren manikürten Fingernägeln, dreckfarben, wie es jetzt modern war, über die hochgesteckte Frisur. Ich wiederum versuchte, meine echt dreckfarbenen, möglichst hinter meinen strähnigen Haaren zu verstecken. Warum hatte ich diese nicht doch gewaschen, oder zumindest komplett abgeschert?
Dann, meine Lieblingsfrage: „Und, was machst‘n jetzt so?“
„Ich bin im Sozialbereich!“. Längere Pause.
„Na, das ist doch schön, sowas braucht man auch, ist zwar nicht so gut bezahlt, gell, aber wenn‘s einem Freude macht…“
Ich hätte ihr gerne, durchaus aus sozialem Interesse, ihr Designersackerl über das pickelunversehrte Gesicht gestülpt, stattdessen blickte ich auf meine Uhr. Den Wink verstand sie nicht. Natürlich nicht! Nach wie vor war sie strunzdumm.
„Hast du noch Kontakt zu den anderen?“ Aha, jetzt ging‘s los! Ich wusste, wohin diese Frage führen sollte.
„Nein, eigentlich nicht.“ Sie blickte wieder auf meine Fieberblase, dann auf meine rote Nase. Ich grinste wieder, zur Ablenkung. Da ich nichts weiter sagte, musste sie etwas deutlicher werden.
„Also, die Helga, von der hat ja keiner mehr was gehört, die soll ja der volle Loser geworden sein! Im Vergleich zu anderen!“ Mir wurde leicht schummerig. War dieser Frau denn nichts zu peinlich? Aber sie würde mich nicht kleinkriegen. Ich schwieg. Da fuhr sie härtere Gefechte aus.
„Also, es ist ja echt komisch, wie sich die Leute entwickeln. Man glaubt ja nicht, wohin es die Menschen beruflich verschlägt. Manche haben‘s ja ganz nach oben geschafft.“
„Hm, ja, sicher“, damit ließ ich offen, ob ich zu jenen gehörte.
Dann ein weiterer Versuch ihrerseits: „Also, jobmäßig ist es ja gar nicht so leicht, was zu finden, das einem Spaß macht und super bezahlt ist, nicht?“
Ich wurde leicht kribbelig, aber sie würde mich nicht kleinkriegen.
Mein Durchhaltevermögen wurde nicht belohnt. Schließlich fing sie selbst davon an.
„Also, ich bin jetzt in der PR Branche. PR, das heißt Public Relation und bedeutet so viel wie Werbung. Ich bin Marketingassistentin bei XYZ GmbH!“
Natürlich hatte ich den Namen verstanden, aber gleich wieder verdrängt. Marketingassistentin! Ich schwieg weiter, was ihr aber mittlerweile egal war.
„Der Zucki und ich bauen gerade unser Haus!“ Zucki war der doofe Spitzname meines Exfreundes.
„Etwas erhöht, über der Stadt. Zucki meint, man muss höher wohnen, da sei das Geld gut angelegt. Vor alle, weil ich ja jetzt, als Marketingassistentin, so viel verdiene.“
Mir wurde übel. Plötzlich empfand ich große Sympathie für Helga, dieses scheue, dickliche Wesen, das nach der fünften Klasse abgegangen war, weil sie die Klasse nicht wiederholen wollte. Danach hatte auch ich tatsächlich nichts mehr von ihr gehört.
Trotzdem sagte ich unvermittelt: „Also da fällt mir ein, ich habe doch noch Kontakt zu Helga. Sie hat vor einigen Jahren nach Amerika geheiratet, einen ziemlich reichen Typen. Ich war mal bei ihr eingeladen, eine Ranch wie aus der Serie „Dallas“, Pferde, Pool und Terrasse. Super! Sie ist total glücklich, trinkt den ganzen Tag Prosecco und geht shoppen. Und sie schaut aus wie zwanzig. Ich glaub, ihr Mann hat sogar Michael Jackson gekannt, aber das kann ich nicht hundertprozentig bestätigen.“
Jetzt war ich voll in Fahrt. Mir war egal, dass sie unmittelbar feststellen musste, dass ich sicher nicht mehr wie zwanzig aussah. Gleichzeitig musste sie nämlich einsehen, dass auch Sie ums Verrecken nicht mehr als Zwanzigjährige durchging! Ich freute mich.
Sie wurde ein wenig fahl. Ihr Grinsen war nicht mehr ganz so strahlend.
„Na ja, ich find‘s schon wichtig, einen Job zu haben und nicht von seinem Mann abhängig zu sein. Der Zucki findet das auch, daher arbeite ich ja jetzt auch als MARKETINASSISTENTIN!“
Wie oft wollte sie dieses Wort eigentlich noch wiederholen?
„Ich meine, wenn man mit wenig zufrieden ist, so wie du, dann ist das ja voll schöööön!“
Und dann ging‘s komplett mit mir durch.
Ich sagte: „Du, ich hab‘s eilig, ich hab‘ einen Untersuchungstermin beim Arzt. Ich bekomme nämlich ein BABY!“
Tja, das war die Faustkeule, die letzte, die einzige Waffe, die Exemplare wie sie zum Schweigen bringt. Ich setzte noch eins drauf. „Ich bin schon im sechsten Monat, da muss ich ein bissl aufpassen.“
Denn, trotz aller Speckfalten, wie im sechsten Monat sah ich nun tatsächlich nicht aus, also musste ich ihr schlank wie eine Gazelle vorkommen.
Sie räusperte sich und meinte dann: „Hm, na ja, das ist ja schön für dich. Das „für dich“ war noch ihre letzte Spitze, die letzte Ausfahrt sozusagen. Mir war‘s wurscht. Sie verabschiedete sich recht zackig. Während sie sich umdrehte, konnte ich einen Blick auf ihre Oberschenkel erhaschen. Und ja, tatsächlich, da war dieser Streifen…
Beschwingt ging ich heim. Ich brauchte keine Medizin mehr. Nur mein Mann wirft mir hin und wieder vor, dass er nicht als erster erfahren hatte, dass ich etwa 1,3 Minuten lang unser Baby unter der Brust getragen hatte.
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Liebste Schreibselbraut!
Recht hast Du! Immerhin gewinnt zu guter Letzt immer das bodenständige Mädel. Wozu gibt es sonst die wundersame Wandlung vom hässlichen Entlein (waren wir eigentlich nie, nur verkannt von der Umgebung) zum schönen Schwan! Notfalls mit Hämorrhoiden-Salbe gegen geschwollene Augen. Das wirkt am Besten wenn man es bei der Jahrgangsfeier am Abend davor ordentlich krachen läßt und am nächsten morgen topfit und strahlend am (Hotel-)Frühstückstisch sitzt und Miss Abschlußballkönigin daher geschlurft kommt mit Augenringen wie ein Pandabär und auf dem Frühstücksbuffet das Aspirin sucht 😉